Veröffentlicht am 19. April 2021
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich unlängst zu einer wesentlichen Frage des Geheimnisschutzes, v.a. unter Berücksichtigung der im UWG umgesetzten Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen[1] (nachfolgend "RL-GeschGeh"), geäußert. Im Zusammenhang mit dem Sachverhalt, dass zwei ehemalige Mitarbeiter (X und Y) des Unternehmens A ihr eigenes Unternehmen B gründeten, unter Verwendung von Konstruktionszeichnungen von A Konkurrenzprodukte entwickelten, und mit diesen eigenen Produkten in Konkurrenz zu A getreten sind, wurde insbesondere die Frage, unter welchen Bedingungen eine geheime Information im Sinne der RL-GeschGeh bzw. im Sinne des § 26b (1) UWG vorliegt, behandelt.
Zunächst prüfte der OGH, ob seitens X und/oder Y bzw. seitens des Unternehmens B eine Information des Unternehmens A verwendet wurde, welche "geheim ist, weil sie weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen zu tun haben, allgemein bekannt noch ohne weiteres zugänglich ist"[2]. Dazu setzte sich der OGH zunächst mit der Frage, ob denn eine Information, welche dem Stand der Technik angehört, allgemein bekannt oder doch leicht zugänglich ist, und folglich, ob das Vorliegen von relevantem Stand der Technik automatisch zur Verneinung eines Geschäftsgeheimnisses führt, auseinander. Unter Berücksichtigung herrschender Lehre und Rechtsprechung kam der OGH zu dem Ergebnis, dass eine Differenzierung zu treffen ist, und – auch in Anlehnung an die Ansicht des BGH[3] – auch solche Informationen als geheim anzusehen sind, die aus bekannten oder ohne weiteres zugänglichen Komponenten bestehen, solange die konkrete Zusammenstellung und Anordnung dieser Komponenten noch nicht bekannt bzw. leicht zugänglich ist, das heißt ohne großen Zeit- oder Kostenaufwand ermittelt werden kann. Beispielsweise, so der OGH, können bestimmte Produkteigenschaften oder Herstellungsmethoden zum Stand der Technik gehören, die dafür notwendigen Informationen im Sinn von Anleitungen oder (Konstruktions)Plänen aber geheim sein, wenn letztere der Fachmann nur mit erheblichem Aufwand entwickeln kann[4]. In der vom OGH zitierten Entscheidung des BGH ging es um den Nachbau einer Hohlfasermembranspinnanlage. Dabei hatte die dort Beklagte Konstruktionspläne einer an sich auf dem Markt befindlichen Faserspinnanlage genutzt, in denen Maße und Anordnungen technischer Bauteile der Maschine verkörpert waren, wodurch sich die Beklagte eigene Konstruktionsarbeit erspart hatte.[5]
Tatsächlich bejahte der OGH auch in der vorliegenden Rechtssache das Vorliegen eines geheimen Charakters der betreffenden Informationen. Die streitgegenständlichen Bauteile Pickelarm, Pickelhalterung und Schwenklager der vom Unternehmen B hergestellten und vertriebenen Gleisstopfmaschine gehörten nämlich nach Ansicht des OGH zwar in Bezug auf ihre Grundformen zum Stand der Technik, die von den Beklagten verwendeten Konstruktionszeichnungen des Unternehmens A aber enthielten Zusatzinformationen. Der OGH stellte fest, dass "der Maßfigur des durchschnittlichen Fachmanns auf dem betreffenden Gebiet des Maschinenbaus […] nicht alle Details der Pläne aus öffentlichen Quellen zugänglich [waren]". Da man annehmen müsse, dass zwar der Durchschnittsfachmann solche Pläne mit einiger Gedankenanstrengung selbst hätte entwickeln können, dafür aber einen gewissen Zeit- oder Kostenaufwand hätte betreiben müssen, sei lt. OGH vom geheimen Charakters der betreffenden Informationen auszugehen.
Allerdings verneinte der OGH den kommerziellen Wert der von den Beklagten als Vorlage verwendeten Konstruktionszeichnungen. Der OGH ging dabei davon aus, dass eine Information aufgrund der Geheimhaltung dann einen kommerziellen Wert (§ 26b Abs 1 Z 2 UWG) aufweist, wenn diese konkrete Information über einen tatsächlichen oder künftigen Handelswert verfügt oder wenn das Bekanntwerden genau dieser Information für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund kam der OGH zu dem Schluss, dass streitgegenständlich die Kenntnisnahme der Konstruktionspläne für Pickelarm, Schwenklager und Pickelhalterung durch die Beklagten die kommerziellen Interessen der Klägerin nicht in relevanter Weise beeinträchtigt, sondern die Wettbewerbsposition der Klägerin vielmehr durch die seitens B patentierte Weiterentwicklung der Antriebseinheit (welche aber gerade nicht auf den betreffenden Konstruktionszeichnungen basiert!) in Form eines hydraulischen Stopfantriebs bedroht wird.
Auf Grund der Verneinung der Frage des kommerziellen Wertes entfiel die Prüfung des letzten Kriteriums des Artikel 2 Abs 1. lit. c der RL-GeschGeh bzw. § 26b (1) Z 3 UWG, die Setzung angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen.
In der Praxis bedeutet das für Marktteilnehmer einerseits, dass die Schaffung von Stand der Technik – durch zB Anmeldung von Patenten oder Gebrauchsmustern oder Inverkehrbringen von Vorrichtungen – nicht notwendigerweise dazu führt, dass sämtliche, damit zusammenhängende Informationen ebenfalls allgemein bekannt noch ohne weiteres zugänglich werden. Vielmehr können begleitende Informationen wie zB Maßangaben, Toleranzen, Produktzusammensetzungen, Verfahrensparameter, etc. weiterhin wertvolles geheimes Know-How darstellen, welches durch geeignete Maßnahmen vor dem Zugriff und der unberechtigten Verwendung durch Dritte, aber auch durch Mitarbeiter, geschützt werden muss. Andererseits wird man sich im Falle eines Missbrauchs fragen müssen, ob die konkret betroffene Information tatsächlich einen relevanten kommerziellen Wert aufweist. Während derzeit, mangels anderslautender Rechtsprechung, wohl davon auszugehen ist, dass es für die Bejahung eines kommerziellen Wertes ausreicht, dass durch eine allfällige unbefugte Nutzung geheimer Informationen die strategische Position oder die Wettbewerbsfähigkeit des Geheimnisinhabers untergraben werden[6], ist das kommerzielle Interesse untrennbar damit verbunden, dass die betreffende Information geheim ist. Denn Artikel 2 Abs 1. lit. b der RL-GeschGeh bzw. § 26b Abs (1) Z 2 legen fest, dass der kommerzielle Wert dadurch bedingt sein muss, dass die Information geheim ist. Damit ist auch in diesem Zusammenhang die Setzung geeigneter Geheimhaltungsmaßnahmen unumgänglich.
Zur Frage, was genau geeignete Maßnahmen sind, gibt es noch keine gesicherte Rechtsprechung. Die Art und Intensität der geeigneten Maßnahmen wird aber immer insbesondere von den konkreten Umständen eines Einzelfalles abhängen, wobei Kriterien wie Person des Geheimnisinhabers (großes Unternehmen, KMU, Privatperson, …), Art der Information, Relevanz der Information für den Informationsinhaber, etc. ausschlaggebend sein werden.[7] Als essenziell anzusehen sind wohl einerseits passende schriftliche Verträge, welche einen allfällige Informationsaustausch begleiten bzw. mögliche Informationsempfänger (zB Mitarbeiter, Kooperationspartner) binden, andererseits und soweit möglich eine Kennzeichnung relevanter Informationen als vertraulich/geheim, jedenfalls aber eine technische/elektronische Absicherung gegen unbefugte Zugriffe, zB durch Zugriffsbegrenzungen wie Passwörter[8], gesonderte und sichere Aufbewahrung, oder Datenverschlüsselung.
Frau Dr. Katarina Casals Ide und Herr Dr. Hannes Burger beraten Sie gerne in Belangen und Fragen des Umganges mit Geschäftsgeheimnissen.
[1] Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32016L0943
[2] Art. 1. a) RL-GeschGeh und § 26 Abs 1 Z 1 UWG.
[3] zB in GRUR 2018, 1161, Rn 38, 39.
[4] GRUR 2018, 1161, Rn 39.
[5] BGH, Urt. v. 22.3.2018 – I ZR 118/16 (OLG Koblenz), GRUR 2018, 1161.
[6] Erwägungsgrund 14 zur RL-GeschGeh.
[7] Vgl. dazu Hofmarcher, Das Geschäftsgeheimnis, Rn 2.36 ff.
[8] Siehe dazu zB schon OGH 4 Ob 165/16t, Ticketsysteme.
Anwälte Burger und Partner