Veröffentlicht am 26. Juli 2021
A. Offenkundige Vorbenutzung
Wenn sich auf schriftlichen Unterlagen ein Geheimhaltungsvermerk befindet ("This document must not be copied without our written permission, and the contents thereof must not be imparted to a third party nor be used for any unauthorized purpose. Contravention will be prosecuted."), lässt sich aus dieser Standardformulierung keine Verpflichtung ableiten, die gelieferte Drosselspule dritten Personen gegenüber geheim zu halten. Diese Erklärung bezieht sich nur auf die Urkunde selbst (OLG Wien 29. 4. 2020, 133 R 84/19 d, Drosselspule).
Eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung kann im Falle der Auslieferung eines Produkts nicht von vornherein vermutet werden. Es müssen die besonderen Umstände des Falls berücksichtigt werden, wobei die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien und der Gegenstand der Nutzung betrachtet werden müssen. Bedeutsam ist, ob auf der Seite einer am Vertrag beteiligten Person ein objektiv erkennbares Interesse an der Geheimhaltung bestand. Für eine stillschweigende Vereinbarung könnte die Beziehung zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft sprechen, ein Joint Venture oder die Lieferung von Prototypen für Testzwecke. Ein gewöhnliches Handelsgeschäft hingegen und der Verkauf von Teilen für eine Serienproduktion bieten grundsätzlich keine Hinweise auf eine solche Vereinbarung. Im vorliegenden Fall wurde bei der ASt eine Drosselspule mit bestimmten Eigenschaften bestellt, die ihrerseits dann die Drosselspule eigenständig so entwickelt hat, dass diesen Anforderungen genügt wird. Allein der Umstand, dass es sich um eine Einzelanfertigung handelt, begründet noch keine derartige besondere Geschäftsbeziehung, aus der eine Geheimhaltungsverpflichtung abgeleitet werden müsste (OLG Wien 29. 4. 2020, 133 R 84/19 d, Drosselspule).
B. Zu prüfende Einspruchsgründe
Die beiden Voraussetzungen "Neuheit" und "erfinderische Tätigkeit" stehen zueinander in einem engen Verhältnis. Die Menge aller Merkmale einer Erfindung, der die Neuheit fehlt, umfasst als Teilmenge auch die vorbekannten Merkmale einer Erfindung, die nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Daraus folgt, dass die Behauptung, es fehle die Neuheit, auch die Behauptung in sich trägt, es fehle die erfinderische Tätigkeit. Paradox wäre es nämlich zu behaupten, die erfinderische Tätigkeit liege zwar vor, es fehle aber die Neuheit. Bei der Behauptung, einer Erfindung fehle die Neuheit, muss daher auch – und zwar für den Fall, dass die Neuheit zu bejahen ist – die Frage der erfinderischen Tätigkeit beantwortet werden (es sei denn, dem Antrag ist ausdrücklich ein gegenteiliger Standpunkt zu entnehmen; OLG Wien 29. 4. 2020, 133 R 84/19 d, Drosselspule1)).
C. Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 10 unterscheidet sich vom Stand der Technik durch die in Anspruch 10 definierten Merkmale. Die objektive technische Aufgabe kann darin gesehen werden, dass die an einem Stirnende austretende Schallemission der Spule reduziert werden soll. Das Dokument ./C behandelt die Geräuschreduzierung bei elektrischen Luftspulen und offenbart – neben dem herkömmlichen Vorschlag, die Spulenanordnung zu versteifen – das zusätzliche Vorsehen einer Schallkammer ("sound chamber") mit einem offenen Ende, die axial zu einem Stirnende der Spule angeordnet wird, wobei das offene Ende dieser Schallkammer der Spule zugewandt ist. Die Luftspule ruht auf elektrisch isolierenden Stellfüßen auf einer Aufstellfläche. Hauptzweck der Schallkammer ist es, den Luftraum zwischen der Spulenanordnung und der Aufstellfläche der Spulenanordnung zu umschließen. Die Schallkammer weist dazu einen Boden und zylindrische Seitenwandabschnitte auf, die einen vollständigen Raum um ein Ende der Luftspule bilden und aus einem schallabsorbierenden Material hergestellt sind. Um den Boden und die Seitenwandabschnitte der Schallkammer in der gewünschten zusammengebauten Relation zu halten, sind diese Abschnitte auf einen Käfig aufgespannt, der aus Sprossen und Stegen aus einem elektrisch nichtleitenden Material besteht. Dokument ./C offenbart die Schallkammer als ein eigenes Gebilde, das im an ein Spulenende angebauten Zustand einen Raum vollständig umschließt. Dokument ./C offenbart aber nicht den in Anspruch 10 geforderten, an zumindest einem Stirnende der äußersten Wicklungslage in axialer Richtung verlaufenden, hohlzylindrischen Verlängerungsabschnitt. Zwar verlangt Anspruch 10 weder, dass dieser Verlängerungsabschnitt selbst ein Teil der Wicklungslage ist, noch, dass der Verlängerungsabschnitt einstückig mit der Wicklungslage ausgebildet ist. Jedenfalls aber stellt der in Anspruch 10 beanspruchte Verlängerungsabschnitt einen Fortsatz der Wicklungslage dar und unterscheidet sich somit grundlegend von der in ./C offenbarten Schallkammer. Die Lösung der objektiven Aufgabe gemäß Anspruch 1 einerseits und gemäß ./C andererseits sind alternative Lösungen und die Fachperson würde in Berücksichtigung von ./ C keine Anregungen finden, die sie, ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik, zur Lösung gemäß dem Anspruch 10 führen würden. Dies schon allein deshalb nicht, weil der Verlängerungsabschnitt die in ./C offenbarte Schallkammer obsolet macht (OLG Wien 29. 4. 2020, 133 R 84/19 d, Drosselspule).
D. Verletzung des rechtlichen Gehörs
Die ASt erlangte erst mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung davon Kenntnis, dass die AG im Einspruchsverfahren neues Vorbringen erstattet und mehrere Hilfsanträge gestellt hat. Die Argumente der ASt im Einspruch konnten sich naturgemäß nur auf das ursprünglich erteilte Schutzbegehren beziehen. Die Hilfsanträge wurden von der AG schließlich erst nach dem Einspruch in der Einspruchserwiderung gestellt. Die Technische Abteilung hielt in der Folge in der angefochtenen Entscheidung das Patent in der Fassung des der ASt nicht bekannten Hilfsantrags 1 aufrecht. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist aus Anlass eines zulässigen Rekurses auch von Amts wegen wahrzunehmen (§ 55 Abs 3 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG). Aus § 58 Abs 1 und 3 AußStrG ergeben sich hier jedoch Einschränkungen. Demnach führt ein Fall des § 58 Abs 1 AußStrG nicht zur Aufhebung, wenn sich schon aus den Rekursausführungen ergibt, dass die angefochtene Entscheidung zu bestätigen ist oder ohne weitere Erhebungen abgeändert werden kann. Wenn hingegen der Beschluss aufgrund der Angaben der in erster Instanz nicht gehörten Partei nicht bestätigt werden kann, ist er nach § 58 Abs 3 AußStrG abzuändern. Nur dann, wenn weitere Erhebungen erforderlich sind, ist mit Aufhebung vorzugehen. Im gegenständlichen Fall hatte die ASt im erstinstanzlichen Verfahren keine Gelegenheit, sich zu den von der AG gestellten Hilfsanträgen zu äußern, weil ihr diese nicht zugestellt wurden. Die Gegenschrift ist aber dann zuzustellen und dem Einsprechenden Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben, wenn der Patentinhaber als Reaktion auf den Einspruch die Patentansprüche einschränkt – sei es durch Verzicht oder durch einen entsprechenden (Eventual-)Antrag im Einspruchsverfahren selbst – und damit eine neue Sachlage schafft. Dies ist im Hinblick auf das rechtliche Gehör des Einsprechenden notwendig, zumal eine Überraschungsentscheidung vermieden werden sollte. Sind weitere Erhebungen erforderlich, so hat diese nicht das RekG durchzuführen, sondern die erste Instanz, weil dem in seinem Recht auf Gehör Verletzten nicht eine Instanz genommen werden soll. Im gegenständlichen Fall ist nicht absehbar, welche Erhebungen noch notwendig sein werden, weil die Hilfsanträge der ASt noch gar nicht zugestellt wurden. Eine Sanierung der Unterlassung der Zustellung der Hilfsanträge iSe Vorrangs der Sachentscheidung durch das RekG kommt hier nicht in Betracht, weil die Gehörverletzung mit der Notwendigkeit einer Verfahrensergänzung einhergeht. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (OLG Wien 22. 3. 2021, 33 R 127/20 v, Verfahren zum Beschichten eines Substrats sowie Beschichtungsanlage). Autor Rainer Beetz Quelle ÖBl 04/2021